AW: Wie weit ist Retusche legitim?
Hallo!
Was ich letzthin anderswo schon gepostet hatte, als jemand meinte, man dürfe die Bilder nur genau so nehmen, wie sie aus der DigiCam kommen. Jede Veränderung sei moralisch verwerflich:
"Hallo!
Was soll daran gemogelt sein, wenn man nachträglich z.B. einen falschen Weißabgleich korrigiert? Soll ich etwa das Bild mit diesem Farbstich veröffentlichen? Und wenn nicht, dann bleibt mir nur wegschmeißen! Warum also sollte man es nicht retten?
Wo ist bei der Tonwertanpassung (Helligkeitsstufen und Kontraste) der Unterschied zum früheren analogen Abwedeln im Studio? Mal abgesehen davon, daß die Digitaltechnik überhaupt nicht den Dynamikumfang an Tonwerten wie der Film bringen kann und man immer Kompromisse eingehen muß. Soll man etwa technische Mängel wie Hot- und Stuckpixel im Bild unbeseitigt lassen? Sie haben mit der Authentizität des Motivs nichts gemein.
Je besser die DigiCam, desto neutraler kommen die Bilder raus: Sanfte Kontraste, wenig Farbsättigung, wenig Schärfe. Die Bilder sollen bewußt nachbearbeitet werden, deshalb läßt die Technik dem Fotografen noch Nachbearbeitungsspielraum. Was soll verkehrt daran sein, das Bild so herzurichten, daß es einigermaßen dem entspricht, was ich mit bloßem Auge vor Ort gesehen habe?
Mal ganz grundsätzlich gesprochen: Bevor die Bilder als lesbare Datei vorliegen, durchlaufen die Bilddaten in der DigiCam und evtl. auch auf dem PC in einem RAW-Wandler ganz gewaltige Veränderungen und Bearbeitungen. Die Daten, die als Bild am Ende vorliegen, haben mit dem, was der digitale Sensor 'gesehen' hat, nur noch wenig gemeinsam. Aber all diese Umwandlungen nimmt die Software vor. Wer hat die Software erstellt? Richtig, irgendwelche Menschen, die versuchten, es so hinzubekommen, daß die Bilder am Ende so aussehen wie diese Menschen es für korrekt hielten. Tja, aber warum sehen dann nicht alle Bilder aller DigiCams gleich aus? Genau, weil es unzählige Programmierer gibt, von denen jeder eine eigene Vorstellung von dem hat, wie das Ergebnis richtig auszusehen hat.
Nur - warum muß ich ausgerechnet mit der Meinung 'meines' Programmierers übereinstimmen, daß auch ich die Bilder, so wie sie rauskommen, für richtig halte? Ist es nicht vielmehr so, daß die Bilder so aussehen müssen, wie ICH sie haben will - und nicht wie irgend jemand anders? Und mit Sicherheit ist das nicht einfach durch was-auch-immer für Einstellungen an der DigiCam zu erreichen. Also muß ich in der Nachbearbeitung versuchen, meiner Vorstellung am nächsten zu kommen.
Man mag darüber streiten, ob echte Bildmanipulation im Sinne von Bildelemente wegnehmen oder hinzufügen in Ordnung geht. Doch oftmals ist es weder möglich, das Motiv nochmal genau so zu fotografieren, weil es inzwischen weg ist. Oder es nicht möglich, einen Standort einzunehmen, daß ein störendes Element vermieden werden kann, z.B. eine Telefonleitung. Also klont man sie weg. Würde man es nicht tun, wäre das Bild möglicherweise nur gut für den Papierkorb. Und den Telegrafenmasten kann man ja auch nicht einfach absägen fürs Bild. Gerne entferne ich aus dem Bild vor dem Fotografieren Schilder und sonstige bewegliche Dinge, die stören. Wenn das aber nicht geht? Es sein lassen zu fotografieren, oder ein schlechtes Bild machen oder es doch nachträglich korrigieren? Schlechte Bilder gibts genug, für sowas ist die Zeit und der Speicherplatz zu schade.
Doch egal was man mit dem Bild anstellt, es sollte eindeutig Position beziehen: Entweder soll es absolut realistisch wirken oder eindeutig künstlerisch - und dann darf es auch unnatürlich aussehen. Beides erfordert einiges an Übung, weshalb man zunächst nur dezent die Bilder korrigieren sollte, bis man mehr Erfahrung hat. Die Wahl von Brennweite und Blickwinkel, von Belichtungszeit und Blende, aber auch Schärfe und Unschärfe, ja selbst der Blitzeinsatz, schafft nur ein Abbild der Realität, die 'fotografische Realität'. Fotografieren ist schon Manipulation der Realität."
Gruß,
Ralf