ralfeberle
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Hallo!
Im folgenden möchte ich über einige weniger bekannte, aber faszinierende Erkenntnisse der modernen Forschung über die menschliche visuelle Wahrnehmung berichten.
Grundlage unseres Verständnisses der Welt sind unsere Wahrnehmungen - kein passives Aufzeichen von Sinnesreizen, sondern eine aktive mentale Rekonstruktion der Welt, die uns umgibt. Im folgenden beschränke ich mich auf die visuelle Wahrnehmung. Zum 'Sehen' gehört sehr viel mehr, als ein Bild von der Netzhaut abzugreifen und auf eine Art organischen Bildschirm im Gehirn eins zu eins zu projizieren. Was wir vom Netzhautbild tatsächlich wahrnehmen, sind höchst abstrakte Informationen, die letztendlich eine Art symbolische Repräsentation der Außenwelt darstellen, also ein selbstgefertigtes Modell der Welt!
Unser Sehen hängt von unbewussten kognitiven Entscheidungen und Schlußfolgerungen ab, d.h. im Hintergrund unbeeinflußbar ablaufender Verarbeitung des Netzhautbildes durch das Gehirn. Der Witz ist, daß gerade dann, wenn wir uns täuschen, die Prinzipien zutage treten, nach denen unser Gehirn - normalerweise erfolgreich - arbeitet. Dabei stützt sich das Gehirn auch auf Erfahrung, es lernt zu interpretieren. Daß das auch in die Irre führen kann, zeigt Bild 1:
Bild 1: Welcher Tisch ist länger
Nun, natürlich sind beide gleich lang - und nicht nur das, beide Tischflächen sind genau gleich groß. Wers nicht glaubt, muß das Bild ausdrucken, eine Tischplatte ausschneiden und über die andere legen.
Sehstörungen
Unser Sehsystem ist ungeheuer kreativ, beispielsweise füllt es unser gesamtes Sehfeld mit Farbe aus, obwohl der Randbereich der Netzhaut nur schwarz-weiß sieht. Selbst schwere Sehstörungen wie lokale Blindheit kaschiert das Gehirn, indem es die Löcher mit Informationen füllt, quasi extrapoliert. Hat man im Gehirn lokale Blutarmut z.B. durch Anstrengung, niedrigen Blutdruck oder erfolgt durch Ausschüttung von Glutamat eine temporären Störung des Ionengleichgewichts, kann dies eine Hyperaktivität der Gehirnzellen der primären Hirnrinde im Hinterkopf bewirken. Dies macht sich als 'Flimmer-Skotom' bemerkbar: eine zickzackförmige Region aus sogenannten Phosphenen mitten im Sehfeld, die mit etwa 10 Herz flimmern - eine leichte temporäre Sehstörung.
Nach der Hyperaktivität bleiben die Nervenzellen eine Zeitlang 'stumm' und verursachen das eigentliche Skotom: einen anfangs winzigen blinden Fleck meist im Zentrum des Gesichtsfeldes, der zur Peripherie linear wandert und dabei bis zur zwanzigfachen Fläche anwachsen kann. Aber das Skotom wächst nicht eigentlich, sondern da unser Auge ähnlich einem Fish-Eye-Objektiv arbeitet, wird nämlich der mittlere Bereich des Sehfeldes um etwa das zwanzigfache vergrößert. Das Skotom bleibt eigentlich vier bis sechs Millimeter groß. Die fehlende Bildfläche ist aber nicht schwarz, sondern wird vom Sehsystem extrapoliert gefüllt. Dies geschieht so vollkommen, daß man das Skotom meist gar nicht bemerkt. Darin drückt sich die 'Erwartung' unseres Gehirns aus, daß die Welt weiter existiert, auch wenn ein Teil des Sehsystems ausgefallen ist. Die flimmernde zickzackförmige Region des Flimmer-Skotoms dürfte auch die Erklärung für das 'Aura-Sehen' von manchen Menschen früher und auch heute noch sein.
Zitterbewegung des Auges
Wir sehen nur Dinge, deren Abbild sich auf der Netzhaut bewegt! Das bedeutet, wir können eigentlich keine still stehenden Objekte sehen. Doch unser Gehirn schafft es mit einem Trick doch: es veranlaßt das Auge, permanent eine winzige Zitterbewegung auszuführen, bis zu 50 mal in der Sekunde, so daß sich statt des Objekts eben die Netzhaut selbst bewegt. Eine Kamera auf diese Art und Weise eingesetzt, ergäbe ein total verwackeltes Bild. Nicht so bei uns: Durch Interpolation erreicht das Sehsystem sogar eine Schärfe, die ein ruhendes Auge niemals schaffen würde. Ohne das Zittern sähen wir wie die Frösche nur bewegte Objekte. Op-Art-Künstler wie Bridget Riley nutzen das natürliche Augenzittern in ihren Kunstwerken aus, um mit feinen Mustern ein irritierendes Flimmern zu erzeugen:
Bild 2: Op-Art
Hauptursache sind hierfür die intensiven Nachbilder, die von den hellen Streifen quasi auf der Netzhaut kurzfristig eingebrannt werden und sich ständig mit dem Bild überlagern. So entstehen auch Bereiche, die grau aussehen, es kommt zu Bewegungseindrücken, oft verbunden mit einem Schwindelgefühl. Manchmal sehen Op-Art-Bilder farbig aus und können bei längerem Betrachten bizarre Halluzinationen hervorrufen.
(Fortsetzung)
Im folgenden möchte ich über einige weniger bekannte, aber faszinierende Erkenntnisse der modernen Forschung über die menschliche visuelle Wahrnehmung berichten.
Grundlage unseres Verständnisses der Welt sind unsere Wahrnehmungen - kein passives Aufzeichen von Sinnesreizen, sondern eine aktive mentale Rekonstruktion der Welt, die uns umgibt. Im folgenden beschränke ich mich auf die visuelle Wahrnehmung. Zum 'Sehen' gehört sehr viel mehr, als ein Bild von der Netzhaut abzugreifen und auf eine Art organischen Bildschirm im Gehirn eins zu eins zu projizieren. Was wir vom Netzhautbild tatsächlich wahrnehmen, sind höchst abstrakte Informationen, die letztendlich eine Art symbolische Repräsentation der Außenwelt darstellen, also ein selbstgefertigtes Modell der Welt!
Unser Sehen hängt von unbewussten kognitiven Entscheidungen und Schlußfolgerungen ab, d.h. im Hintergrund unbeeinflußbar ablaufender Verarbeitung des Netzhautbildes durch das Gehirn. Der Witz ist, daß gerade dann, wenn wir uns täuschen, die Prinzipien zutage treten, nach denen unser Gehirn - normalerweise erfolgreich - arbeitet. Dabei stützt sich das Gehirn auch auf Erfahrung, es lernt zu interpretieren. Daß das auch in die Irre führen kann, zeigt Bild 1:
Bild 1: Welcher Tisch ist länger

Nun, natürlich sind beide gleich lang - und nicht nur das, beide Tischflächen sind genau gleich groß. Wers nicht glaubt, muß das Bild ausdrucken, eine Tischplatte ausschneiden und über die andere legen.
Sehstörungen
Unser Sehsystem ist ungeheuer kreativ, beispielsweise füllt es unser gesamtes Sehfeld mit Farbe aus, obwohl der Randbereich der Netzhaut nur schwarz-weiß sieht. Selbst schwere Sehstörungen wie lokale Blindheit kaschiert das Gehirn, indem es die Löcher mit Informationen füllt, quasi extrapoliert. Hat man im Gehirn lokale Blutarmut z.B. durch Anstrengung, niedrigen Blutdruck oder erfolgt durch Ausschüttung von Glutamat eine temporären Störung des Ionengleichgewichts, kann dies eine Hyperaktivität der Gehirnzellen der primären Hirnrinde im Hinterkopf bewirken. Dies macht sich als 'Flimmer-Skotom' bemerkbar: eine zickzackförmige Region aus sogenannten Phosphenen mitten im Sehfeld, die mit etwa 10 Herz flimmern - eine leichte temporäre Sehstörung.
Nach der Hyperaktivität bleiben die Nervenzellen eine Zeitlang 'stumm' und verursachen das eigentliche Skotom: einen anfangs winzigen blinden Fleck meist im Zentrum des Gesichtsfeldes, der zur Peripherie linear wandert und dabei bis zur zwanzigfachen Fläche anwachsen kann. Aber das Skotom wächst nicht eigentlich, sondern da unser Auge ähnlich einem Fish-Eye-Objektiv arbeitet, wird nämlich der mittlere Bereich des Sehfeldes um etwa das zwanzigfache vergrößert. Das Skotom bleibt eigentlich vier bis sechs Millimeter groß. Die fehlende Bildfläche ist aber nicht schwarz, sondern wird vom Sehsystem extrapoliert gefüllt. Dies geschieht so vollkommen, daß man das Skotom meist gar nicht bemerkt. Darin drückt sich die 'Erwartung' unseres Gehirns aus, daß die Welt weiter existiert, auch wenn ein Teil des Sehsystems ausgefallen ist. Die flimmernde zickzackförmige Region des Flimmer-Skotoms dürfte auch die Erklärung für das 'Aura-Sehen' von manchen Menschen früher und auch heute noch sein.
Zitterbewegung des Auges
Wir sehen nur Dinge, deren Abbild sich auf der Netzhaut bewegt! Das bedeutet, wir können eigentlich keine still stehenden Objekte sehen. Doch unser Gehirn schafft es mit einem Trick doch: es veranlaßt das Auge, permanent eine winzige Zitterbewegung auszuführen, bis zu 50 mal in der Sekunde, so daß sich statt des Objekts eben die Netzhaut selbst bewegt. Eine Kamera auf diese Art und Weise eingesetzt, ergäbe ein total verwackeltes Bild. Nicht so bei uns: Durch Interpolation erreicht das Sehsystem sogar eine Schärfe, die ein ruhendes Auge niemals schaffen würde. Ohne das Zittern sähen wir wie die Frösche nur bewegte Objekte. Op-Art-Künstler wie Bridget Riley nutzen das natürliche Augenzittern in ihren Kunstwerken aus, um mit feinen Mustern ein irritierendes Flimmern zu erzeugen:
Bild 2: Op-Art

Hauptursache sind hierfür die intensiven Nachbilder, die von den hellen Streifen quasi auf der Netzhaut kurzfristig eingebrannt werden und sich ständig mit dem Bild überlagern. So entstehen auch Bereiche, die grau aussehen, es kommt zu Bewegungseindrücken, oft verbunden mit einem Schwindelgefühl. Manchmal sehen Op-Art-Bilder farbig aus und können bei längerem Betrachten bizarre Halluzinationen hervorrufen.
(Fortsetzung)